Klassenführung geht nicht ohne Führung
Klassenführung geht nur mit Führung
Das erfolgreiche Rennpferd Johnny verdankte die vielen Siege seinem Trainer Lennon. Dieser forderte von seinem vierbeinigen Schüler Disziplin und die ausnahmslose Einhaltung von Regeln auch dann ein, wenn Johnny offensichtlich nach langwieriger Nutzung der Trainingsgeräte einen schwierigen Tag hatte und nicht mehr recht lernen wollte. Dabei war er unnachgiebig in der Gestaltung des Trainings, auch sich selbst gegenüber. Er war der erste auf dem Parkour, forderte stets einen Sprung über das Hindernis mehr als die anderen Trainer und ließ keine Nachlässigkeit durchgehen. Die Interaktion zwischen Johnny und Lennon hatte eine verlässliche Basis aus Vertrauen und Regeln. Seine neidvollen Trainerkollegen empfanden ihn manchmal als hart. Dabei war Strenge nach der Anfangszeit nur selten von Nöten. Johnny genoss sein Leben sichtlich. Er war der schnellste, der schönste, der beste, erfreute sich bester Gesundheit und der Disziplin, die Lennon ihm beigebracht hatte. An manchen Tagen wurde es Johnny aber auch zu viel. Dann forderte Lennon ohne zu zögern und mit Konsequenz Konzentration ein. Später wurde Johnny einem neuen Rennstall und der Trainerin Jessi zugewiesen. Jessi war eine freundliche Person, sie schonte das Pferd, das bislang so hart hatte trainieren müssen. Die Nutzung des Zaumzeugs nahm ab, das Training wurde hin und wieder verkürzt und, wenn Johnny Unwillen signalisierte, fiel auch mal ein ganzer Trainingstag aus. Johnny genoss die Ruhe, die einkehrte. Dann wurde er träge, fett und krank.
Effiziente Klassenführung- Warum ist das so wichtig?
Das Management einer Lerngruppe bestimmt ganz entscheidend über den Lernerfolg von SchülerInnen. Unter anderem definiert sich an diesem Kriterium die im Klassenraum entstehende oder ausbleibende Begeisterung für das Fach, die Bereitschaft, auch daheim am Ball zu bleiben, der Respekt gegenüber der Lehrperson und der Umgang miteinander im Klassenraum. Auch wenn Lerngruppen gewiss unterschiedliche Temperamente haben, so brechen alle Wellen letztlich am Lehrer, alle Fäden laufen hier zusammen.
Bei uns landen alle Probleme, die in den Unterricht getragen werden und bei uns werden sie gelöst. Oder eben nicht. Klassenführung ist gefragt. Wie wir mit Störungen umgehen, wie wir Verstöße gegen Verhaltensregeln ahnden, welche Gefühle wir bei unserer Lerngruppe auslösen, liegt an uns. Werden wir nicht erst genommen, liegt das an uns. Läuft eine Klasse immer wieder aus dem Ruder, liegt das an uns. Dabei sind Fragen der bevorzugten Didaktik und der Unterrichtsvorbereitung zweitrangig. Unsere spontanen Entscheidungen, von denen wir in jeder einzelnen Unterrichtsstunde dutzende treffen, sind durch unsere Persönlichkeit bestimmt.
Was tut Best Practice?
BP bietet ein Treffen engagierter LehrerInnen, auf welchem wir voneinander lernen können. Leider herrscht im LehrerInnentum ein weit verbreiteter Konsens, jeden sein Ding machen zu lassen. Einblicke in die Arbeit der anderen ist an den allermeisten Schulen ein Tabu. Dabei könnten wir viel voneinander lernen.
Erfolgreiches Classroom Management: Techniken der Klassenführung
Im Mittelpunkt der schulischen Interaktionen zu stehen bedeutet nicht, dass wir für den Lernerfolg jedes einzelnen Schülers verantwortlich sind. Wir LehrerInnen haben keine Werkzeuge, mit welchen wir effektives Lernen in den eigenen Wänden der Schüler garantieren könnten. Auch ist es ganz normal, dass einzelne Situationen unerwarteten Störungen unterliegen. Was wirklich gute LehrerInnen dabei auszeichnet, ist, dass die Unterrichtsdisziplin eben doch weit über die Grenzen des Unterrichts hinausreichen und Störfaktoren keine lange Lebensdauer und somit keine dramatische Auswirkung auf die Unterrichtsqualität haben, sondern sofort angegangen und behoben werden. Und das gelingt denen, die auf einen klare Wertereferenzrahmen zurückgreifen können. Wer weiß, welches Verhalten nicht zu tolerieren ist, wird einschreiten, wenn er es wahrnimmt. Ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl ist wertvoll, setzt aber einen vorher geschaffenen Bezugswert voraus, in welchem es angewendet werden kann. Bist du hoch sensibilisiert für Fragen des gendergerechten Unterrichts, wirst du jeden Verstoß dagegen unmittelbar ahnden. Steht für dich das Tragen angemessener Kleidung an der Schule im Vordergrund, schärfst du deinen Blick dafür und wirst ohne zu Zögern reagieren, wenn dir Jogginghosen entgegenlaufen.
LehrerInnen sind qua Rolle Führungspersönlichkeiten. Gute LehrerInnen sind es zudem durch ihre Persönlichkeit. Sie fordern von ihren Lerngruppen Respekt und Anerkennung, vielleicht sogar Bewunderung, ein, statt um Verständnis und Mitgefühl oder gar Mitleid zu bitten. Diese Lehrkräfte haben einen hohen Status in der Klasse – und auch in der Schule insgesamt – der sich nicht nur aus der Funktion als Lehrkraft ergibt, sondern aus ihrer Persönlichkeit heraus resultiert. Sie erfüllen das menschliche Bedürfnis nach einem Alpha, der die Gruppe anführt und die Hand über laufende Interaktionen hält. Häufig bestechen diese FührungsspezialistInnen durch Klarheit im Unterricht, die sie durch transparent kommunizierte Erwartung hinsichtlich Verhalten und Leistungsbewertung erreichen. Lehrpersonen mit hohem Status sind darüber hinaus fachlich nicht nur hinreichend kompetent, den SchülerInnen nicht nur ein paar Stunden voraus, sie beeindrucken vielmehr mit ihrer Expertise, indem sie ohne Prahlerei überdurchschnittlichen Fertigkeiten in ihrer Domäne demonstrieren. Sie können Fehler und Unwissenheit zugeben, müssen dies aber nur selten tun. Achtsamkeit ist ein weiteres Merkmal überragender Führungspersönlichkeiten und besteht in der sorgsamen und aufrichtig interessierten Wahrnehmung der Gefühle der Kinder und Jugendlichen. Es ist diesen LehrerInnen aufrichtig wichtig, dass die Lernumgebung frei von Angst ist und sie sind sensibilisiert für Unwohlsein aller Art.
Der noch weitaus wichtigere Aspekt dabei liegt jedoch in der bewussten und reflektierten Wahrnehmung des eigenen Innenlebens. Wer bewusst wahrnimmt, dass er wütend wird, kann diese Emotion nicht nur erkennen und benennen, sondern auch routiniert damit umgehen, ohne seinen Ärger unangemessen heftig an der Lerngruppe auszulassen. Exzellente Führungskräfte wirken durch ihre Achtsamkeit allzeit präsent, weil sie es sind. Scheinbar mühelos sind sie überall zugleich, ohne jedoch die Lernenden zu bedrängen und sie ihrer Freiräume zu berauben. Jacob Kounin spricht schon 1976 in „Techniken der Klassenführung[1]“ von „withitness“, um diese Fähigkeit zu beschreiben. Zuletzt sei auf die körperliche und seelische Stabilität verwiesen. Viele Menschen unserer Profession sind emotional angespannt bis hin zum Burnout. Andere vernachlässigen ihre körperliche Gesundheit durch zu wenig Bewegung oder falsche Ernährung. Unserer genetischen Programmierung verlangt es aber nach vitalen, belastbaren Rudelführern. Die Schule ist hier keine Ausnahme, viel eher ein Paradebeispiel. An anderer Stelle gehe ich ausführlicher auf diese einzelnen Aspekte ein, Interessierte Leser verweise ich derweilen gerne auf das Buch „Mein Wille geschehe“ von Stefan Merath.
[1] Kounin, Jacob S.: Techniken der Klassenführung [Reprint von 1976]. Waxmann 2006.
Führungspsychologie als Grundlage einer erfolgreichen Klassenführung
Das Thema der Führungspsychologie ist wissenschaftlich gut erforscht, wenn auch in der täglichen Unterrichtsgestaltung häufig nicht bekannt. In meinem Studium hat die Psychologie der Klassenführung, wie sie in den Forschungen von Kounin oder auch Seidel („Pädagogische Psychologie“, 2014) dargestellt wird, jedenfalls – mit Wohlwollen gesprochen – eine Nebenrolle gespielt. Dabei liegen aussagekräftige Ergebnisse schon lange vor, die klare Hinweise darauf geben, wie man die Unterrichtsqualität durch routinierte Interaktionen und entschlossene Nutzung von Regeln anheben kann:
So benennen Helmke[1] et al. In „Effiziente Klassenführung als Schlüsselmerkmal der Unterrichtsqualität […]“ von 2010 und diversen weiteren Publikationen die Führungskompetenz und das Classroom Management als entscheidende Kernkompetenz der Lehrperson. Das der Begriff „Führung“ dabei vermieden wird, liegt dem Missverständnis zugrunde, es ginge um diktatorischen Machtmissbrauch. Dabei beschreibt der Begriff die zu leistende Tätigkeit treffend. Die von Hilbert Meyer angeführten Merkmale guten Unterrichts lassen sich ebenso auf das Fundament gelungener Führungstätigkeit zurückführen wie einige der von John Hattie als wirkmächtig anerkannten Methoden der Unterrichtspraxis. Beispielhaft möchte ich den Aspekt der aktiven Lernzeit anführen. Ein schwaches Tier an der Spitze eines Rudels muss sich ständigen Angriffen erwehren und sieht sich beständigem Zweifel gegenüber seiner Person ausgesetzt. Für uns bedeutet das den Verlust von Lernzeit durch Diskussionen darüber, ob eine Strafe angebracht oder eine Hausaufgabe zu viel verlangt sei. Die Bemessung der einzelnen Effektstärken, die sich mit Klassenführung in Verbindung setzen lassen, haben Helmke im Magazin „Lernende Schule“ 65/2014 angeführt und können dort eingesehen werden. Hier genügt das Resümee: Sie sind beachtlich.
Das Klassenmanagement ist, unzweifelhaft und hervorragend nicht nur durch die Forschungen von Helmke, Kounin und Seidel empirisch belegt, die eine Kernkompetenz guter Lehrkräfte. Sie ersetzt damit nicht andere Aufgabenfelder wie die Unterrichtsvorbereitung oder die Kenntnis fachspezifischer, didaktischer Techniken. Diese stellen eigene Aufgabenfelder für uns dar und bringen ihre eigenen Schwierigkeiten mit sich. Unsere Führungsfähigkeit bestimmt aber maßgeblich, ob die in diesen Bereichen angeeigneten Fähigkeiten erfolgreich angewendet werden können.
[1] Gemeint sind mit dem Namen Helmke hier sowohl Andreas als auch seine Gattin und wissenschaftliche Kollegin Tuyet Helmke.
Eine effiziente Klassenführung als notwendige, aber keinesfalls hinreichende Bedingung für den Unterrichtserfolg
Für uns folgt daraus, dass wir an uns arbeiten müssen. Es steht unseren SchülerInnen zu, von LehrerInnen lernen zu können, die das schwierige Themenfeld sozialer Interaktionen beherrschen und diese so gestalten, dass Lernzeit maximiert und der Klassenraum emotional kontrolliert wird. Das Linzer Konzept für Klassenführung (LKK) bietet einen Diagnosebogen zum Eigengebrauch, um seine Fähigkeiten im Classroom Management in den Teilbereichen Beziehungsförderung, Kontrolle und Unterrichtsgestaltung zu prüfen.
Wir haben die pädagogische Pflicht, unseren SchülerInnen die besten Führungskräfte zu sein, die wir sein können.